Missstand in der Berechnung des Bedarfes der hausärztlichen Versorgung in Schopfheim führt zu drastischer Unterversorgung.

Offener Brief der Schopfheimer Grünen an den Bundesminister für Gesundheit Jens Spahn

Sehr geehrter Herr Bundesminister Spahn,

Schopfheim ist eine Stadt mit knapp über 19.000 Einwohnern. Aktuell steht bei uns die Versorgungssituation mit Hausärzten im Brennpunkt.

Zwei Hausärzte haben bereits zu Ende Juni 2019 ihre Praxis ohne Nachfolger schließen müssen, zwei weitere wollen zum Ende 2019 aus Altersgründen schließen und finden ebenfalls keine Nachfolger. Hiermit verliert Schopfheim auch eine in Anstellung befindliche Hausärztin. Übrig bleibt für Januar 2020 eine Ärztin im Kerngebiet der Stadt Schopfheim und ein Kollege in einem Ortsteil 17 Kilometer entfernt von der Schopfheimer Kernstadt.

Aufgrund dieser Situation haben wir uns an die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KV BW) gewandt um zur zukünftigen Versorgung der Bürger von Schopfheim Näheres zu erfahren. Die Nachfrage bei der KV BW ergab eine Versorgung für Schopfheim (sogenannter Mittelbereich Schopfheim) von 103 %. Diese völlig falsche Einschätzung wurde auf Nachfrage auch durch den Minister für Soziales und Integration, Manfred Lucha von der KV BW übernommen und ohne Prüfung auf Richtigkeit auch an uns Bürgerinnen und Bürger schriftlich bestätigt.

Eigene notwendige Recherchen führen zu aktuell 4,5 Sitze für Hausärzte in Schopfheim. Dies bedeutet 4.222 Patienten pro Hausarzt. Die Regel der KV BW spricht von 1.671 Patienten pro Hausarzt. Trotz Widerlegung wiederholt die KV BW den falschen Versorgungsgrad 103 % mehrfach schriftlich. Er wird dadurch natürlich nicht richtiger, der Missstand bleibt und wird immer größer.

Mit dem tatsächlichen Stand der Hausärzteversorgung haben wir uns sowohl an die KV BW als auch an das Ministerium in Baden-Württemberg gewandt. Da sich der Erfolg unserer Aktivität in beide Richtungen in sehr engen Grenzen hält führt uns dieser unerfreuliche Vorgang als Bürger dieses Landes zu folgenden Erkenntnissen:
Die Ermittlung der Ist- Situation Hausärzte für Schopfheim durch die KV BW ist Zahlenakrobatik fern jeder Wirklichkeit. Schopfheim als Mittelbereich mit vielen anderen ländlichen Gemeinden zu berechnen ist falsch und führt zu den aktuellen untragbaren Ergebnissen. Wir gehen davon aus, dass dies nicht nur in Schopfheim so praktiziert wird.

Um eine realistischere Situation abzubilden würde es nach unserer Meinung ausreichen, den Mittelbereich Schopfheim in zwei Unterbereiche, oberes Wiesental und mittleres Wiesental, aufzuteilen. Betrachtet man diese (oberes und mittleres Wiesental) dann gesondert, so zeigt sich eine deutliche Überversorgung des oberen Wiesentales von knapp 150 % gegenüber einer Unterversorgung des mittleren Wiesentales.

Bereits 2018 wurde von Seiten des Landratsamtes Lörrach ein Antrag bei der KV BW gestellt, um eine bessere Aufteilung zu erreichen. Dieser Antrag blieb bis zum heutigen Tag unbeantwortet. Und auch die Neubewertung des Versorgungsgrades nach der aktuellen Richtlinie vom Mai 2019 hat zu keiner realen Abbildung der Ist-Situation geführt.

Das bedenkliche Berechnungsverhalten der KV BW entbehrt darüber hinaus jeglichen Blickes in die Zukunft.

Dieser vorausschauende Blick auf die nächsten 5 und 10 Jahre ist nach unserer Meinung aber absolut zwingend. Ausbildungs- und Reaktionszeiten in der Besetzung von Arztsitzen erzwingen diese Vorausschau. Die Altersstruktur der praktizierenden Ärzte ist hinlänglich bekannt.
Wie soll die elementar wichtige ärztliche Versorgung aller Bürgerinnen und Bürger ansonsten nachhaltig sichergestellt werden? Die verlässliche hausärztliche Versorgung der Menschen steht im Mittelpunkt – was denn sonst?

Wichtige Änderungs- oder Anpassungsmöglichkeiten sind in der Bedarfsplanung-Richtlinie Mai 2019 schon enthalten. Diese Anpassungen müssten im Sinne der Bürgerinnen und Bürger nur umgesetzt werden. Die Aktivität in dieser Sache liegt bei der KV BW. Wenn die KV BW Ihrer Aufgabe nicht gerecht wird entsteht die Frage nach der Verantwortlichkeit der von uns Bürgerinnen und Bürgern gewählten Personen in der Politik. Wer soll sich in dieser Sache verantwortlich zeigen, wenn nicht die Politik.
Die Bürger selbst?

Wir Bürgerinnen und Bürger fordern deshalb:

  • Zeitnahe und schnelle Reform der KV und Kontrolle der Funktion im Sinne der Bürger.
  • Verlässliche Ärzteversorgung im ländlichen Raum, nicht nur in den Großstädten.
  • Politische Verantwortliche, die die Notwendigkeiten vor Ort erkennen, die Zukunft ausreichend langfristig betrachten und geeignete Maßnahmen in die Wege leiten und bis zur positiven Umsetzung begleiten.
  • Eine initiative und verlässliche Antwort auf gewichtige Hinweise von Missstände, egal in welchen Bereichen. Dieses Minimum an politischer Kultur ist insbesondere in Zeiten zunehmend schwieriger gesellschaftlicher Entwicklungen zwingend notwendig.

Die verlässliche medizinische hausärztliche Versorgung aller Bürgerinnen und Bürger fordert zeitnahe und konsequente Maßnahmen seitens der KV BW und auch der Politik.

Ganz aktuell ist es uns nach intensiven gemeinschaftlichen Bemühungen gelungen, die hausärztliche Versorgung durch Gründung eines Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) vorläufig zu sichern.

Wir erwarten Ihr Feedback und verbleiben mit freundlichen Grüßen

Stadträtin Dr. Marianne Merschhemke und Stadtrat Jürgen Fremd von der Fraktion BÜNDNIS 90/Die Grünen des Ortsverbandes Schopfheim